Sonntag, 9. September 2012

Titel und Intro/Prolog

Anna-Katharina Hölscher


Schnittmuster

Meine Schönen Kleider

vom deutschen Mädel zur digitalen Frau

Eine Zeitreise



Intro/ Prolog

11.6.43

Meine liebe Lilli!
Nun bin ich also wieder zurück in der Stellung. Es hat noch einen Tag länger gedauert. Wir waren vorgestern Abend schon verladen und nach einigen Stunden Wartens hieß es dann doch: aussteigen – Nebel – Irgend so was kommt ja immer dazwischen. Na, gestern Abend klappte es dann aber mit der Überfahrt. Hatten eine sehr ruhige Fahrt, halb neun waren wir in der Stellung. Hier fand ich fünf liebe Briefe von dir vor, einen mit Zigaretten, einen mit anderem Inhalt. Herzlichen Dank, Mädel. Ist ja gerade, als wenn du es geahnt hättest, wie notwendig ich das brauchte. Hast du fein gemacht. Ist doch schade, dass du dir die dumme Grippe da holen musstest. Ich mache mir auch jetzt keine unnötigen Sorgen mehr, Mädel. Weiß wohl, dass es bei dir Überbeanspruchung ist, deshalb allerdings auch meine Sorge anfangs, als du nach Borsdorf fuhrst, wo es Mutter so schlecht ging. Na hoffentlich hast
du dich inzwischen von der Krankheit erholt und kannst noch zusätzlich etwas Kräfte auf Vorrat speichern, vor allem Ruhe sammeln. Wegen der Finanzen mach dir man nicht zu viele Sorgen. Es ist eben diesen Winter durch die „Schweinerei“ gekommen. Hauptsache, dass du nicht tiefer reinrutschst und allmählich heraus kannst. Du schreibst, es wäre dir erwünscht, wenn ich im Juni auskäme. Kann dir das leider nicht mitteilen. Das wirst du dir ja auch selber gesagt haben, dass ich für diese Pariser Fahrt was gebraucht habe. Na, nun will ich aber erst mal berichten. Also:
Es kam natürlich alles sehr plötzlich. Aus der Schreibstube wurde angefragt, wer noch nicht in Paris war. Habe jetzt einen Wachtmeister als Spieß, Fuchs aus Hannover, der den Spieß in seinem Urlaub vertritt. Fuchs habe ich damals schon in Französisch unterrichtet und jetzt ist er auch im Englischen mein Schüler. Außerdem duze ich mich mit ihm. Und dann ging es los. Vormittags schnell zum Arzt zur Untersuchung. Dann nachmittags während der Geländeausbildung um halb fünf hieß es, sofort zur Schreibstube. Musste noch mit dem Fahrrad zur Abteilung, um meinen Marschbefehl zu holen. In Hast zu Abend gegessen, schnell die paar Klamotten gepackt und dann konnte ich zum Glück mit dem Chef im Auto zur Schiffsstelle fahren. Überfahrt wie gewöhnlich. Am Samstagabend kam ich schon in Paris an. Anmeldung. Ich sollte erst wieder nach auswärts in ein Hotel, konnte dann aber für die erste Nacht in einem Übernachtungsheim bleiben. Sonntag morgen bekam ich dann ein Hotelzimmer. Hotel Calais, mitten in der Stadt. Am Sonntag hab ich mir dann allein Paris mal angesehen. Es ist wirklich eine einzigartige Stadt. Wundervolle Bäume und Straßen. Und all die Bauten sind so hingestellt, dass sie von allen Seiten und weithin gesehen werden können. Der Triumphbogen mit dem Grabmal des unbekannten Soldaten ist wirklich ein „Triumph“ bogen. Und eine herrlich breite Straße führt darauf zu. Die Straße, auf der unsere Truppen auch in Paris einrückten. Na, ich schick dir nächstes Mal die Photos zu und muss dir das im nächsten Urlaub mal näher zeigen. Schade, dass du nicht dabei sein konntest! Am Nachmittag sind wir dann zu dritt über die Boulevards, die Hauptstraßen, früher die Wälle der alten Stadt, geschlendert. Da bummelte alles her, sehr viel Militär, aber noch mehr Zivilisten. Die Pariserin im Sonntagsstaat natürlich. Ja, die Pariserin! Es ist wirklich auch ein besonderes Frauenzimmer, nicht gerade mein Ideal, aber eben doch was Besonderes, anders als die übrigen Französinnen, eleganter, geschmackvoller, mit viel Chic und Eleganz. Hüte hab ich gesehen! Wagenräder! Wenn man den Hut sieht, kriegt man einen Lachkrampf, aber die Pariserin kann die Dinger tragen. Sie stehen ihr. Auch mit dem Schminken. Die Pariserin versteht es wirklich. Sie malt ihre Lippen, aber geschickt, nicht so blödsinnig und auffällig wie leider meist die deutschen Mädel. Und wenn man mal übel geschminkte Mädel sah, waren es Provinzlerinnen oder - deutsche Mädel, die Paris nachmachen wollten. So was steht der Pariserin, es passt zu ihrem Charakter und ihrer Erscheinung, aber eben nicht für ein deutsches Mädel. Und dann das Leben auf den Straßen! Alles ist draußen. Viele sitzen in und vor den Cafés. Die Cafés sind zur Straße hin vollkommen offen und fünf bis zehn Reihen Stühle stehen noch auf dem Bürgersteig, alle mit dem Blick zur Straße, und davor wandelt dann alles hin. Schaustellung! Sah sogar einen Frisiersalon. Die ganze Front Fenster, direkt am Fenster saßen die Damen und Dämchen mit ihren Apparaten um den Kopf, jedem sichtbar, vor allem aber – sie kann selbst alles auf der Straße beobachten. Und so ist das auf den riesenlangen Boulevards, die sich genau wie die Promenaden in Münster rund um die Altstadt ziehen und auf der endlos langen Prachtstraße, den Champs Elysées, die zum Triumphbogen führen. Zur Schau stellen, das ist pariserisch. Gebäude, Menschen, Kleidung und in den großen Kabaretts eben auch der unbekleidete menschliche Körper, alles wird zur Schau gestellt. Es ist eben im Gegensatz zum Deutschen doch eine ziemlich aufs Äußerliche eingestellte Kultur. Auch die Unterhaltung ist eine solche Schaustellung des Geistes, man zeigt Esprit, Witz, Wendigkeit, lässt seine Sprachtalente aufblitzen, es kommt gar nicht so sehr auf den Inhalt an, auch nicht, dass einer unbedingt zuhört, man muss sich aber zeigen können. Für den Deutschen, besonders für den doch innerlich veranlagten und in jeder Beziehung zurückhaltenden und keuschen Niedersachsen, der seine Gefühle ungern, wenn überhaupt, preisgibt, ist das mal ganz interessant zu beobachten, aber eben fremd. ………
Und abends waren wir dann in dem Kabarett, den Folies Bergères, einem der berühmtesten Kabaretts. Auch das ein Erlebnis. Es war wirklich großartig. Die Mädels natürlich nur sehr sparsam bekleidet. Na, ich will dir doch mal das Programm zuschicken. Oben hatten sie im Allgemeinen nichts, unten oft nur so ein kleines Dreieck wie ein Feigenblatt. In Cherbourg waren auch wohl mal so genannte Pariser Revuen, habe nur eine gesehen, war ziemlich plump und infolgedessen widerlich. Diese Revue wirkte trotz der Nacktheiten keineswegs schwül oder grob sinnlich. Es waren natürlich ausgesucht schöne Körper, ist ja klar. Und das Wesentliche waren aber doch die Bühnengestaltung, die phantastischen Beleuchtungswirkungen, die Kostüme, die Farben. Na, so was muss man gesehen haben. Man kann es nicht schildern. In Deutschland ist so etwas natürlich kaum denkbar, es würde da sofort in eine Schweinerei, in eine Orgie ausarten. Diese unbekümmerte Zurschaustellung ist eben für den Deutschen unnatürlich. Für einen Neger ist ja völlige Nacktheit auch das natürliche Gewand und auch für uns nicht anstößig. Es dauerte von abends acht bis halb elf mit nur einen kurzen Pause, sonst folgte Nummer auf Nummer ohne jede Unterbrechung.
(...)
Also, grüß Oma, Tante Marianne, - wünsch beiden gute Besserung – und Mathilde. Den Kindern einen herzlichen Kuss. Und du selbst sei recht lieb in den Arm genommen und geküsst von deinem To





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